Manch einer erinnert sich noch an den Anfang der 90er, wo man solide Edelstahl-Bügel in den Ziegelmayer-470ern hatte, fest auf die Traveller-Schiene geschraubt und mit einfachen Bolzen in der Höhe verstellbar. Die Luxus-Variante hatte sogar Fast-Pins, da konnte man im Zweifelsfall sogar mal die Höhe des Bügels auf einem lauen Vorwindgang umpinnen. Die Teile waren quasi unkaputtbar und sehr praktisch zum Festhalten bei einer Rollwende.
Einfach-Bügel |
Das Erbe der DDR (also genaugenommen die FES) brachte dann bald ein schönes Stück Technik in die Szene, nämlich die höhenverstellbaren Großschotbügel aus Alu und Edelstahl. Da konnte man dann jederzeit mit einer Talje perfekt die Höhe verstellen, sogar auf der Kreuz! So schick das Teil war, es hatte einige Nachteile: Es mochte kein Salzwasser (nach jedem Segeln am Meer war ordentlich Spülen angesagt). Und man ist schwer drangekommen. Es gab viele gebrauchte Bügel, die aber auch unterschiedliche Fertigungsqualität hatten. Wer einen funktionierenden Bügel hatte, hat ihn gehütet wie Goldstaub.
FES-Bügel (Schnittbild) |
Und dann gab es später noch die Schickimicki-Variante "Avantgarde" aus Carbon. Rostfrei, aber sauteuer. Und technisch irgendwie unelegant, weil man die Talje aussen anbringen musste, etwas abseits von den eigentlichen Zugkräften. Das Hauptproblem jedoch waren die Kosten, die unverschämten Preise für dieses Teil haben leider den Großschotbügel insgesamt in Verruf gebracht.
Carbon-Bügel |
Ende der 90er kam man auf den Trichter, dass ein fixer Großschotbügel den Großbaum auf der Kreuz nicht komplett in die Mitte bekommt. Genau das war aber unter manchen Bedingungen angesagt, man wollte z.T. den Baum sogar etwas nach Luv ziehen. Also wurde der Bügel auf zwei Traveller-Schlitten geschraubt und konnte so ganz leicht nach Luv geholt werden. Das war die Krönung der Großschotführung, der Holepunkt war in beiden Dimensionen leicht fernzusteuern. Großbaum zu weit in Lee? Traveller ziehen! Achterliek zu offen? Bügel niedriger ziehen. Das war sehr einfach zu verstehen, das hat auch jeder Amateur kapiert. An der Kreuz konnte man bei mäßigem Wind die Schot Block auf Block fahren und den Baumniederholer einfach vergessen.
Schema Traveller-System mit Bügel |
Schicke Technik, mit der man den Groß-Trim perfekt kontrollieren konnte. Manch andere Klasse hat uns darum beneidet. Wie das aber so ist, es war zu schön, um Bestand zu haben. Die FES-Bügel waren nicht zuverlässig zu haben, und die Avantgarde-Bügel wurden immer teurer (bis zu 1000 DM, sapperlot!). So hat dann irgendwann die int. KV beschlossen, das Ganze zu verbieten. Der Wortlaut war:
Das war ein "Verbot per Schikane". Es war zwar ein Bügel auf einem Traveller erlaubt, aber halt nur in eine Dimension "fernzusteuern". Die andere (also fast zwangsläufig "auf und ab") musste mit Bolzen o.ä. gemacht werden. Damit war aller Sex-Appeal dahin, und ab sofort fuhr man international mit einfachen Strippen-Systemen. Das war zwar in der Tat billiger, aber auch sehr schwer zu bedienen. Das Zusammenspiel von Dreieck und Baumniederhalter ist halt ziemlich wabbelig und muss ständig angepasst werden.
Schema Strippensystem mit Traveller |
Einem Top-Segler mit 200 Wassertagen im Jahr und immer einem Trainerboot hintendran wird es nicht schwerfallen, damit zurecht zu kommen. Für Amateure war das schwieriger. Ich hatte anfangs ein sehr ungutes Gefühl mit den Strippen. Inzwischen habe ich mich nach Jahren daran gewöhnt, denke aber weiterhin, daß ich mit einem "alten Dreieck" zuverlässiger meinen Trimm finden würde.
Das war dann der Stand der Technik für viele Jahre, und eigentlich bei den meisten bis heute. 2012 bei den Olympischen Spielen habe ich mir dann aber die Augen gerieben: Die Onboard-Kamera von Belcher/Page zeigt doch tatsächlich einen Bügel! Und der ist in allen Richtungen verstellbar. "Ist das wohl erlaubt?"
London 2012 |
Und tatsächlich, seit 2006 heisst es in den Klassenregeln:
Rolle rückwärts, "Alles wieder erlaubt, Hauptsache kein Carbon" also, und keiner hat's bemerkt. Zumindest ich habe es nicht bemerkt, mir sagt ja keiner was. Natürlich habe ich seitdem etwas genauer geguckt, aber so viele 470er-Segler haben noch nicht wieder einen Bügel. Warum? Ich weiss es nicht. Hat sich die Segel-Philosophie wieder geändert? Gibt es immer noch nicht so viele Hersteller?
FES-Bügel |
Avantgarde aus Carbon geht nicht mehr. Bei Malte Winkel und Matti Cipra habe ich in einem Video einen alten FES-Bügel entdeckt. Sehr sympatisch, aber eher die Ausnahme. Viele Mannschaften nutzen einen Edelstahlbügel, der angeblich aus Japan stammt. Eine Bezugsquelle habe ich aber noch nicht gefunden. Und dann gibt es noch den Bügel namens "VMG Main Traveller Sytem", der wirkt wie aus dem 3D-Drucker. Der sieht in echt auch nicht viel vertrauenswürdiger aus. Aber er wird benutzt, kann also nicht so schlecht sein. Und dann gibt es neuerdings noch eine Lösung offenbar aus Italien von "Sailing Evolution", ähnlich dem VMG, nur schicker und schlanker. Auch dieser hat keine Feder drin, sondern benutzt ein einfaches System mit Gummis. Den mag ich auf den ersten Blick sehr, habe aber noch keine Bezugsquelle gefunden (sito in costruzione).
Komplett mit Travellerschiene |
Fragen über Fragen, und vor allem: Was soll ich selbst in mein Schiff bauen? Ich hätte ja gern wieder diese Technik zur Verfügung. Und ich habe noch die komplette Mechanik aus meinem gecrashten GER4881 in der Schublade liegen.Und einen nagelneuen FES-Bügel habe ich auch noch. Aber will ich wirklich Technik aus dem letzten Jahrtausend einbauen? In ein Schiff, das auch schon 11 Jahre hinter sich hat? So ein Bügel wiegt schließlich auch das ein oder andere Kilogramm. Vermutlich warte ich, bis mal ein neues Schiff angeschafft wird und lasse es dann zeitgemäß ausstatten.
Unbenutzt |
(Nebenbei: Auf Englisch heisst so ein Bügel meist einfach "Hoop")
Update 10.1.2015: Die Jungs von "Sailing Evolution" schreiben mir:
Sailing Evolution |
The possible adjustment of the traveller are: 1) Height adjustment of the main sheet lead during the sailing: The system to pull down the tube is realized with a 1:4 tackle that work in axe to the tube, it is possible to adjust the height of the tube on both side, in fact, to fix the traveler sheet, there are two cam cleat one for each side. 2) Transversal adjustment of the boom (windward - leeward): It is possible to use the same main slide sheet already installed on the boat.
Our traveller, completely assembled, weighs only 680 gr. We follow this philosophy: if you have to create something, create it nice because the costs are the same.Preise gibt es auf Nachfrage unter der hier genannten Emailadresse.
Update 6.2.2015: Inzwischen habe ich so ein Teil aus Italien.
Update 25.2.2015: Mehr ...
Update 18.1.2016: Mehr ...